Ein wenig Allgemeines
Unsere Fahrten in der russischen Eisenbahn waren sehr verschieden. Schon im Voraus war mir wichtig, die Fahrten nicht ausschließlich zu zweit in einem Abteil zu verbringen, da man auf diese Weise nichts erleben würde. Zwar verzichteten wir auf Fahrten in der dritten Klasse (quasi ein Schlafsaal im Zug), erlebten aber vom Komfort und den Ereignissen große Unterschiede auf den Strecken.
Die Beförderungsklassen
Die Züge der transsibirischen Eisenbahn verfügen in der Regel über drei verschiedene Klassen. In der 1. Klasse fährt man in einem 2-er Abteil, während man sich dieses in der 2. Klasse zu viert teilt (2 obere und 2 untere Betten). Die dritte Klasse ist quasi ein Großraumabteil, bestehend aus unteren und oberen Betten.
Die unteren Betten werden tagsüber zu Sitzgelegenheiten umgeklappt, wobei der dort Schlafende das Vorrecht der Nutzung hat. Das heißt, man sollte bei der Reise zu zweit immer mindestens ein unteres Bett buchen (auch wenn dieses teurer ist), da man andernfalls keinen Anspruch auf einen Sitzplatz hat. Ich denke aber, dass die Mitfahrer in der Regel so nett sind, einem das Sitzen zu ermöglichen.
Speisen und Getränke
Bis auf die Strecke Jekaterinburg – Novosibirsk enthielt unser Ticket immer ein Abendessen. Hier stand Schwein mit Buchweizen oder Huhn mit Nudeln zur Auswahl. Bis auf die Mahlzeit auf der Fahrt nach Irkutsk, diente das Essen geschmacklich ausschließlich der Hungertilgung. Meist bekam man eine Box mit Plastikbesteck, einer 0,2 Liter Flasche Wasser, Brot/Keksen und einer Packung Salami dazu.
Wir sind uns immer noch nicht sicher, ob die Mahlzeiten automatisch im Ticket inkludiert waren oder dies mit der Buchungsklasse o.ä. zu tun hatte.
Die Züge verfügen über Speisewagen, wo man sich zusätzlich verpflegen kann. Teilweise sind auch Bestellungen bei der Zugbegleitung möglich. Ich denke, dass dies abhängig von der Motivation der jeweiligen Person ist.
In jedem Wagon steht ein Samowar, wo man sich kostenfrei mit heißem Wasser versorgen kann. Zudem kann man dort beim Zugbegleiter Snacks und Süßigkeiten erwerben.
Ausstattung
Auf dem Großteil der Strecken wurde ein Paket bestehend aus Einwegschlappen, Zahnbürste/-pasta, Erfrischungstuch sowie ein Handtuch bereitgestellt. Auf einer Fahrt wahrscheinlich aus Bequemlichkeit für Zugestiegene nicht mehr ausgeteilt. Bettwäsche war natürlich ebenfalls inbegriffen. Auf den meisten Streckenabschnitten wurden die Betten selbst bezogen, auf wenigen haben wir das Abteil bereits vorbereitet vorgefunden.
Die Züge unterscheiden sich im Alter, Komfort, Ausstattung und Sauberkeit. Letzteres ist wahrscheinlich zu großen Teilen von den aktuell beschäftigten Mitarbeitern abhängig. Teilweise hatten wir z.B. recht moderne, ordentliche Toiletten, andere male wollte man am liebsten auch das Zähneputzen ausfallen lassen, um den Raum nicht betreten zu müssen. Die Ausstattung der Abteile unterschied sich ebenfalls. Es gab zwischen 0 – 2 Steckdosen, meist jedoch eine. Die Betten wurden meist aus der Wand ausgeklappt, in den alten Zügen wird jedoch eine dünne Matratze auf die Sitzbank gelegt. Manchmal gibt es Gepäcknetze für Kleinigkeiten oder Ablagen und mal funktionieren die Leselampen nicht. Im Großen und Ganzen lässt es sich in den Zügen aber recht gut aushalten.
Die Landschaft
Landschaftlich war die Strecke im Allgemeinen relativ eintönig. Die ersten Streckenabschnitte kann ich diesbezüglich nicht auseinander halten, da man fast ausschließlich durch Birkenwälder fährt. Weiter Richtung Osten weichen die Birken Kiefern und Lärchen. Hier durchfährt man die „helle Taiga“. In Richtung Mongolei wird die Landschaft immer mehr zur Steppe.
Unterschiede im mongolischen und chinesischen Zug
O.g. Beschreibung bezieht sich auf die russischen Züge. Im mongolischen und chinesischen Zug gab es weder das kleine Care-Paket noch einen Samowar. Auch konnte man dort Lebensmittel und Getränke nur in Speisewagen erhalten. Öffnungszeiten der Speisewagen sind auf diesen Strecken eingeschränkt, da diese an den Grenzübergängen abgekoppelt werden und bereits vorher Vorkehrungen getroffen werden.
Unsere Fahrten
Russland ist aufgrund seiner Größe in verschiedene Zeitzonen eingeteilt. Da das Land keine Sommerzeit hat, beträgt der Zeitunterschied in Moskau und St. Petersburg +1 Stunde zu deutscher Zeit im Sommer und +2 Stunden im Winter.
Während der Reise befanden wir uns in folgenden Zeitzonen (Vergleich Deutschland UTC+2 (Sommer), UTC+1 (Winter):
St. Petersburg, Moskau, Kazan: UTC+3
Jekaterinburg: UTC+5
Novosibirsk:, Krasnojarsk: UTC+7
Irkutsk, Baikal, Mongolei, China: UTC+8
Freitag, 24.08.2018, Tag 37
St. Petersburg – Moskau, 13:10 – 17:15 (4:05 Std.)
Die nur etwa 4-stündige Fahrt von St. Petersburg nach Moskau verbrachten wir komfortabel und mit inkludiertem Mittagessen, dafür aber ohne nennenswerte Begegnungen in der 1. Klasse.
Sonntag, 26.08.2018, Tag 39
Moskau – Kazan, 20:48 – 08:54 (12:06 Std.)
Für die Nachtfahrt von Moskau nach Kazan teilten wir uns das 4-er Abteil mit Dima, einem Russen der seine Familie im südlichen Teil Russlands besuchte. Aus unserem Nachbarabteil gesellte sich zeitweilig Ramazan zu uns. Er war auf dem Weg in seinen Geburtsort Kazan. Mittlerweile lebte er, verheiratet mit einer Malaysierin in Kuala Lumpur. Da er für ein amerikanisches IT-Unternehmen arbeitete, sprach er recht gut Englisch, was in Russland eher eine Seltenheit ist. Der Zug war vergleichsweise neu, sauber und vom Service her gut. Auch sprach die Bahnbegleitung Englisch.
Dienstag, 28.08.2018, Tag 41
Kazan – Jekaterinburg, 14:15 – 05:50 (13:35 Std.)
In Kazan fanden wir uns pünktlich zur Abfahrt am falschen Bahnhof ein. Wir wussten bis dahin nicht, dass es eine zweite Station außerhalb des Zentrums gibt. So verpassten wir leider unseren Zug und buchten uns kurzerhand eine neue Verbindung. Die 15,5 Stunden mussten wir in getrennten Abteilen verbringen, da der Zug nahezu ausgebucht war. Das Personal auf diesem Streckenabschnitt sprach bereits kein Englisch mehr. Die kurze, notwendige Kommunikation konnten wir jedoch mit Hilfe unserer Abteilgenossen und Übersetzungsprogrammen regeln. Das übliche Care-Paket mit Schlappen, Zahnbürste und Handtuch bekamen wir hier nicht.
Mein Bett war in einem Abteil mit einer wortkargen, schwangeren Frau und einem Studenten-Pärchen, Iulia und ein Name mit M. Im Gegensatz zu beinah all unseren bisherigen Begegnungen in Städten und Zügen sprachen die beiden ein wenig Englisch. Sie studierten Jura in Jekaterinburg und waren nach einer Woche Urlaub in Sotschi auf der Rückreise. Ich musste zweimal nachfragen, ob ich sie richtig verstanden hatte, denn ihre Fahrtdauer betrug 3 Tage. Pro Strecke! M. war, glaube ich, sehr stolz auf Russland. Er fragte mich nach meiner Meinung über das Land, die Politik, die Frauen, ob ich mir vorstellen könnte dort zu leben und vieles mehr. Dabei suchte er ein wenig nach meiner Bestätigung, aber auf eine nette Art. Zu den heikleren Themen fand ich zum Glück sehr diplomatische Antworten. Seiner Freundin war die Fragerei ein wenig unangenehm, ich fand es ok. Da Iulia erkältet war und leichtes Fieber hatte, verbrachte ich die meiste Zeit bei meinem Papa im Nachbarabteil.
Er teilte sich den Platz mit Lena und Svetlana, die mit Lenas Enkeltochter ebenfalls auf der Rückreise von Sotschi waren. Englisch konnte keiner der drei. Hier bestätigte sich aber eindeutig die russische Gastfreundschaft. Zu Beginn fragte Lena, ob wir Tee trinken wollen und machte sich bereits ohne eine Antwort abzuwarten auf den Weg zur Tür. Kurze Zeit später kam sie mit zwei Bechern heißem Wasser vom Samowar zurück. Zum Tee aus ihrem eigenen Vorrat wurde anschließend aufgetischt. Diverse Kekse, Waffeln, Schokolade und Bonbons stapelten sich vor uns auf dem Tisch. Ablehnen ging nicht, denn hatte man längere Zeit nichts in der Hand wurde beharrlich auf den Tisch gezeigt.
Als Zusatz zu unserem vom Zug gestellten Abendessen, wurden wir mit Brot, Wurst und Käse von den beiden versorgt. Wir hatten schon ein schlechtes Gewissen, dass wir – unvorbereitet und ohne eigene Vorräte – nichts im Gegenzug anbieten konnten.
Freitag, 31.08.2018, Tag 44
Jekaterinburg – Novosibirsk, 12:04 – 11:34 (21:30 Std.)
Dieser Zug war schon etwas in die Jahre gekommen und von der Ausstattung her der schlechteste unserer Reise. Einige Passagiere saßen bereits seit einigen Tagen im Zug und/oder hatten noch eine mehrtägige Reise vor sich. Der Zug legte die komplette gut 7-tägige Route von 9288 Kilometern von Moskau nach Vladiwostok zurück. Auch auf diesem Streckenabschnitt hatte ich mich bei der Planung quasi im letzten Moment gegen den Komfort eines 2-er Abteils entschieden. Zum Glück, denn sonst wären wir um ein weiteres Erlebnis ärmer gewesen.
Bei unserer Ankunft im Zug wurde das 4-er Abteil bereits von Sergej bewohnt. Sergej war bereits seit mehreren Tagen im Zug und hatte noch eine längere Strecke vor sich. Er war Bahnarbeiter und musste irgendwo in Sibirien an den Schienen arbeiten. Er sprach kein Wort Englisch, wollte sich jedoch unbedingt mit uns unterhalten. Dass wir ihn nicht verstanden bemerkte er, glaube ich, kaum. Er war bereits bei unserer Ankunft recht betrunken.
Nummer Vier unseres Abteils war Mascha, Ärztin in Jekaterinburg, die ihre Eltern im 5 Stunden entfernten Tjumen besuchte. Sergej bat Mascha für uns zu übersetzen. Ihr war seine Anwesenheit jedoch unangenehm, weshalb sie sich dem Großteil seiner Versuche verweigerte und uns stattdessen sagte, dass wir ihr leid täten die lange Fahrt mit ihm verbringen zu müssen.
Nachdem zwischen uns und Sergej keine wirkliche Kommunikation zustande kommen konnte, suchte er das Abteil seiner Freunde im gleichen Wagon auf. Zwischendurch kam er zurück, um in seiner Reisetasche nach einer neuen Flasche klarer Flüssigkeit zu suchen. Jedes mal versuchte er, uns zum Mitkommen zu überreden.
Auch wenn ich nicht wirklich Lust hatte, willigte ich schließlich, nach einem „mach das mal“ von meinem Papa, ein und begab mich mit Sergej drei Abteile weiter zu seinen Freunden. Hier saßen bereits sechs Russen – manche mehr, manche weniger offensichtlich betrunken. Auf einem der oberen Betten schlief ein Siebter. Den Tisch füllten zahlreiche leere sowie einige angebrochenen Flaschen. Einige Plastiktüten mit Nahrungsmitteln lagen daneben.
Meine Ankunft wurde mit einem leichten Jubeln und einer Reihe Händeschütteln begrüßt. Die Namen sind mir entfallen, es gab jedoch noch einen weiteren Sergej. Nachdem ich mich gesetzt hatte, wurde direkt ein kleiner Schluck bräunlicher Flüssigkeit aus einer Spriteflasche in ein schmieriges Glas geschüttet. Im Anschluss bekam ich dieses in die Hand gedrückt. Geprostet wurde durch leichtes Anstoßen mit der Faust und dem Glas des Trinkenden (da es keine weiteren Gläser gab). Unter erwartungsvollen Blicken leerte ich das Glas mit der Flüssigkeit, die die anderen im weiteren Verlauf teilweise als „Russian Cognac“, „Vodka“ oder einfach „made self“ bezeichneten.
Während das Glas erneut gefüllt und dem nächsten der Runde gereicht wurde, nahm mein Sitznachbar einen recht abgenagten Knochen mit einigen Fleischresten vom Tisch. Dann versuchte er mir durch Bewegungen klarzumachen, dass ich nach dem „Vodka“ ein Stück abbeißen sollte. Nachdem ich ein paar mal verneint hatte, begnügte er sich damit mir eine mit Kartoffeln gefüllte Teigtasche aus einer der Tüten zu reichen.
Der Becher ging noch einige male herum, wobei einige bereits ablehnten, ich ein paar mal häufiger ranmusste. Zum Glück waren die Mengen jeweils so klein, dass die Gesamtaufnahme sich noch sehr in Grenzen hielt. Sergej erinnerte sich unterdessen, dass ich vor unserem Abteilwechsel eine Schachpartie mit meinem Papa begonnen hatte. Er bat mich auf russisch, das in Bruchstücken von einem seiner Freunde übersetzt wurde, das Spiel zu holen. Sein Freund, Sergej Nummer 2, konnte offenbar Schach spielen. Also gingen wir gemeinsam zurück, holten das Spiel und begannen die Partie.
Schon während der ersten Züge merkte ich, dass er zwar die Regeln beherrschte, mehr aber auch nicht. Nach wenigen Zügen war das Spiel zu meinen Gunsten beendet. Die anderen beobachteten unterdessen gebannt unser Duell. Sergej 2 forderte noch einige Revanchen, allerdings mit dem selben Ergebnis. Mit der Zeit wurden die anderen müde, verabschiedeten sich und legten sich auf die freien Betten. Als sich die Gruppe langsam auflöste, kehrte auch ich in unser Abteil zurück. Kurze Zeit später folgte Sergej und setzte seine russischen Gespräche mit uns ohne Punkt und Komma fort.
Irgendwann stieg Mascha aus und eine Stunde später nahm ein weiterer Herr ihren Platz in unserem Abteil ein, dessen Name wir allerdings nicht wissen.
Am Abend bekam unser Abteil erneut Besuch. Diesmal von einer felllosen Katze oder Nacktkatze. Nachdem sich diese eine Weile auf dem Bett des namenlosen Herrn aufgehalten hatte, ging dieser in den Gang, um nach dem Besitzer zu rufen. Etwas später kam ein Junge, den ich auf etwa 12 Jahre schätze, und holte die Katze ab.
Bei unserem Ausstieg am nächsten Morgen war Sergej sehr verhalten. Scheinbar war ihm sein Zustand vom Vortag nun unangenehm und er schaute bei unserer Verabschiedung fast schüchtern zu Boden.
Sonntag, 02.09.2018, Tag 46
Novosibirsk – Krasnojarsk, 20:39 – 08:54 (12:15 Std.)
Bei unserer Ankunft im Zug um 20:40 Uhr hatten wir das 4-er Abteil für uns alleine. Während der Nacht stieg ein weitere Gast ein. Bequeme, unspektakuläre Fahrt.
Dienstag, 04.09.2018, Tag 48
Krasnojarsk – Irkutsk, 16:27 – 11:41 (18:14 Std.)
Hier waren wir alleine im Abteil. Zeitvertreib waren Schach spielen, Splendor und Blog schreiben. Der Zug war von der Ausstattung gut.
Sonntag, 09.09.2018, Tag 53
Irkutsk – Ulan Bator, 08:08 – 06:50 (22:42 Std.)
Auch hier legten wir die Fahrt zu zweit zurück. Dieser Streckenabschnitt war meiner Meinung nach landschaftlich der schönste. Je näher wir der mongolischen Grenze kamen, desto weitläufiger wurden die Felder und Steppen. Leider scheiterten die Versuche, die Landschaft durch das Zugfenster mit der Kamera einzufangen.
An der Grenze zur Mongolei hielt der Zug für einige Zeit. Vorab erhielten wir zwei Zettel, eine Zolldeklaration und eine Karte zur Einreise in die Mongolei (denke ich zumindest). Da die Zolldeklaration auf mongolisch verfasst war, verstanden wir nicht alles. Wichtig waren laut unserer Zugbegleiterin allerdings nur die Passdaten sowie eine Unterschrift.
Während unseres Stopps kontrollierten Grenzbedienstete das Abteil, öffneten Schränke und Fächer, räumten die Ablage leer, rührten unser Gepäck allerdings nicht einmal an?! Zweimal mussten wir unsere Pässe abgegeben, zunächst für den Ausreise-, schließlich für den Einreisestempel. Da wir die gesamte Zeit im Abteil sitzenbleiben konnte, war der Grenzübergang ziemlich bequem. Der Halt dauerte etwa 2 Stunden.
Ließt sich phänomenal dein Blog und macht verdammt Lust bald wieder in die Welt aufzubrechen! Hab die letzte Stunde alle Beiträge gelesen…
…dir weiter eine spannende Zeit unterwegs.
Ich freue mich auf weitere Berichte!
Viele Grüße aus Leipzig
Jonas
Danke, Jonas! Heute und in den kommenden Tagen folgen die Berichte der Mongolei.
Schöne Grüße aus dem verregneten Zhangjiajie in China